Medien haben unterschiedliche Logiken. Wer sie erfolgreich nutzen möchte, muss unterschiedliche Taktiken anwenden – dies gilt für den demokratisch engagierten Influencer Rezo genauso wie für den Rechtsextremen Martin Sellner. Zunächst lässt sich also festhalten: Auch extremistische Propaganda muss sich, will sie viele Menschen erreichen, den Plattformlogiken beugen. Während auf Instagram vor allem Bilder und Kurz-Videos im Vordergrund stehen, ist es auf Facebook eine Mischung aus Bild und Text. Auf TikTok sind es schnell konsumierbare Video-Schnipsel, auf YouTube können es schon mal minuten- oder auch stundenlange Videos sein. Das A und O ist, in einem großen Content-Angebot sichtbar zu werden.
Dies hat zur Folge, dass extremistische Inhalte und Kanäle auf den ersten Blick nicht unbedingt auffallen: Rechtsextreme Influencer*innen teilen – wie viele andere – auf Instagram gerne privaten Content, geben per Vlog Einblicke in ihre Privatleben oder greifen auf YouTube virale Phänomene und Trends auf. So veröffentlichte das vom Verfassungsschutz beobachtete Compact-Magazin zuletzt ein musikalisches Antwort-Video auf ein sehr erfolgreiches Lied des Rappers Danger Dan auf YouTube. Wer nach dem erfolgreichen Video sucht, wird weiter unten auch die Reaktion von Compact finden, die nun zu den erfolgreichsten Videos des Magazins zählt.
Grundsätzlich lassen sich folgende Taktiken herausarbeiten:
Authentizität
Sie ist zentral, um junge Zielgruppen zu erreichen. Influencer*innen sind gewissermaßen Vorbilder für ihre Fans – auch wenn sie statt Cremes oder Sportartikel extremistische Ideologien “verkaufen”. Es geht also immer auch darum, Einblicke ins Private zu geben und zu zeigen, dass die transportierte Ideologie auch dort fester Bestandteil ist.
Selbstverharmlosung
Die wenigsten extremistischen Akteur*innen werden auf großen sozialen Plattformen Hakenkreuze oder Enthauptungsvideos posten. Erstens, weil sie dann gelöscht würden und zweitens, weil sich mit derart radikalem Inhalt nicht so viele Menschen erreichen lassen. Es geht also stets darum, die eigene Ideologie und auch die Personen, die sie vertreten, harmlos, nahbar oder normal erscheinen zu lassen. Die Idee ist dabei: Jemand, der*die Bilder der eigenen Hochzeit teilt und die gleiche Limo trinkt wie ich, kann doch nicht gar nicht so schlimm sein.
Vernetzung Islamismus
Extremistische Influencer*innen mit Themenschwerpunkt Islam zeigen ein sehr heterogenes Spektrum von Überzeugungen. 1→ 2→ Einige Kanäle aus dem islamistischen Spektrum scheinen Wert auf eine unabhängige Präsentation zu legen und geben keine Empfehlungen zu anderen Kanälen oder Akteur*innen, andere zeigen dagegen untereinander deutliche thematische und personelle Vernetzungen. So kann man einige Cluster erkennen, die ihre Kanäle, Videos oder Kampagnen gegenseitig empfehlen. Ihre Akteur*innen treten zudem häufig auch gemeinsam auf Veranstaltungen auf. Trotz vieler ideologischer Unterschiede und individueller Ausprägungen gibt es bestimmte Themen, wie z. B. männliche/weibliche Rollenvorstellungen, die Pflicht zum Tragen des Kopftuches oder gemeinsame Feindbilder (z. B. Schiit*innen, Medien, staatliche Institutionen, Staat Israel, Jüdinnen*Juden), zu denen übereinstimmende Positionierungen vertreten werden, ohne dass eine Vernetzung erkennbar ist.
Vernetzung Rechtsextremismus
Auch rechtsextreme Influencer*innen sind äußerst heterogen und bilden damit das politische Spektrum ihres Lagers ab. Auffällig ist jedoch, dass sie wesentlich stärker als das islamistische Spektrum zusammenarbeiten. Sie bewerben ihre Inhalte, laden sich gegenseitig in ihre Formate ein und stehen sich bei Löschungen bei. Auf diese Weise entsteht eine Art Netzwerk, in dem die unterschiedlichen Zielgruppen immer näher zusammenrücken. Fans werden miteinander geteilt und so ein gemeinsames Wachsen erreicht. Dabei wird auch mal über inhaltliche Differenzen hinweg zusammengearbeitet, solange es ein gemeinsames Feindbild gibt. Es kann daher auch von einer Allianz der Antagonist*innen gesprochen werden.
Anschluss & Beef
Ein Ziel ist Wachstum, sprich mehr Menschen zu erreichen. Eine Idee ist dabei, immer neue Zielgruppen zu erschließen. Erreicht wird dies bspw., indem Leute aus anderen Bereichen zu sich in die Sendung geholt werden. Der Identitäre Alexander Kleine interviewte deswegen den inzwischen gelöschten, eher unpolitischen aber vulgären Adlersson. Das Ziel ist, sich dessen Fans bekannt zu machen. Es wird jedoch auch ganz gezielt Streit gesucht, vorzugsweise mit politischen Gegner*innen, die eine wesentlich größere Reichweite haben. Die Hoffnung ist, dass diese auf den Köder anspringen, reagieren und somit den oft eher kleinen extremen Influencer*innen zu mehr Reichweite verhelfen.