Nicht jede Verschwörungserzählung ist offenkundig antisemitisch. Das heißt, nicht immer werden explizit Jüdinnen*Juden als Feindbilder markiert. Dennoch lassen sich viele verschwörungsideologische Argumentationsstrukturen auf antisemitische Ressentiments zurückführen. In frühen Narrativen ging es um Jüdinnen*Juden, die aus Kinderblut Brot für Pessach buken. Heute handeln die Erzählungen von “globalen Eliten”, die aus Kinderblut ein Verjüngungselixier mit dem Namen Adrenochrome gewinnen. Es handelt sich also um die Modernisierung alter Narrative, die auch deswegen so eine Wirkmacht entfalten können, weil sie als “urban legends”, als alte Märchen, Gruselgeschichten und Volksweisen die Zeit überdauern. Gemein bleibt ihnen allen jedoch, dass sie auf die gleichen Muster zurückgreifen: Es gibt eine obskure, fremdartige und mächtige Gruppe, die der eigenen Gemeinschaft schaden will.
Auch heute noch werden Jüdinnen*Juden für die Übel der Welt verantwortlich gemacht, hinzugekommen sind über die Zeit aber unterschiedliche Gruppen und Personen, die sinnbildlich für sie stehen. Sie dienen bewusst oder unbewusst als Chiffren: Aus dem “wurzellosen Weltjudentum”, das das Geldwesen beherrscht, sind die “heimatlosen Globalisten” geworden, die die Finanzbranche dominieren.
Aufgrund dieser strukturellen Nähe von Verschwörungserzählungen zu Antisemitismus gehen erstere sehr leicht in letzteren über. Wer an eine globale Elite glaubt, wird sich auch überzeugen lassen, dass diese Elite jüdisch sei. Belege in der Geschichte gibt es angeblich zur Genüge – von reichen Jüdinnen*Juden wird schon sehr lange fabuliert.
Dies zeigt, dass Narrative zwar oft neue Wörter und moderne Sprache verwenden, jedoch zurückgeführt werden können auf alte Muster. Diese Muster zu erkennen, erleichtert es, Verschwörungsnarrative zu identifizieren und offen zu legen.