Was ist eigentlich eine Verschwörung? Meist wird damit ein geheimes Unternehmen verstanden, das sich gegen bestimmte Institutionen, Personengruppen oder gar Staaten richtet. Eine Verschwörungsideologie wäre demnach die Annahme, dass eine Verschwörung vorliegt. Dabei kann der*die Verschwörer*in eine willkürliche, real existierende oder fiktive Person sein. Meistens handelt es sich aber um eine als mächtig angesehene Gruppe, die im Geheimen mit bösen Absichten operiere und gesellschaftliche Ereignisse zu ihren Gunsten steuern würde. Die Verschwörungserzählung ist also eine Zuschreibung der Macht an ganz bestimmte Einzelpersonen und Gruppen. Verschwörungsideologien liefern einfache Erklärungen und klare Schuldige für komplizierte Missstände und Ereignisse.
Wichtig ist auch zu wissen, dass oftmals echte Enthüllungen und Verschwörungen als Scheinargument benutzt werden, um gewisse Narrative zu untermauern. Es gibt reale Verschwörungen, wie den CIA-Putsch auf Cuba oder die NSA-Spionage. Allerdings wurden diese Enthüllungen journalistisch korrekt erarbeitet – und es sind klar abgrenzbare Ereignisse.
Durch die Verschwörungserzählung werden bestimmte soziale Phänomene, historische Ereignisse oder eben Pandemien erklärt und auf den*die Verschwörer*innen projiziert und zurückgeführt.
Verschwörungserzählung, Verschwörungstheorie, Verschwörungsideologie – Ja, was denn jetzt eigentlich?
Die Begriffe Verschwörungserzählung, -theorie, -mythos oder -ideologie werden häufig als Synonyme genutzt. Im deutschen Sprachraum sind zudem auch weniger gebräuchliche Wörter, wie Verschwörungserklärungen, -fantasie, -hypothesen, -überzeugungen (conspiracy beliefs) oder konspirationistische Weltsichten (conspiracist worldview) im Umlauf. Dabei setzen die Begriffe jeweils einen besonderen Akzent. Was versteht man eigentlich unter einer Verschwörung in Verbindung mit den Worten Erzählung, Theorie, Mythos oder Ideologie? Bezeichnet die jeweilige Begriffserweiterung das entsprechende Phänomen auch zutreffend?
In der Literatur und den aktuell laufenden Diskussionen besteht kein Konsens. Die Begriffe werden von Fachleuten mit unterschiedlichen Definitionen gebraucht. Im Glossar finden Sie einen Vorschlag für einen pragmatischen Gebrauch.
Verschwörungserzählungen in Zusammenhang mit Corona
Seit dem Beginn der Pandemie 2020 haben Verschwörungserzählungen an Bedeutung in der öffentlichen Wahrnehmung gewonnen. Allerdings sind sie nicht erst mit dem Aufkommen des Virus entstanden, sondern schon seit langer Zeit in unserer Gesellschaft verankert. Der Glaube an sie und auch ihre Verbreitung nimmt in Krisensituationen zu, da bei Teilen der Bevölkerung Ängste, Panik und Ratlosigkeit entstehen. Auch schon bei Seuchen, wie z.B. der Spanischen Grippe, der Cholera-Epidemie oder der Pest entstanden gesellschaftliche Spaltungen, die zu Misstrauen gegenüber Autoritäten und einer Zunahme an Verschwörungsideologien geführt haben.
Verschwörungserzählungen dienen in solchen Krisensituationen als Hilfskonstrukt, um mit großer Unsicherheit und einem gefühlten Kontrollverlust umzugehen. In diesen Momenten versuchen Menschen, Muster zu sehen und Strukturen herzustellen. Eine direkte Schuldzuweisung ist oftmals einfacher als mit einem Ohnmachtsgefühl umzugehen.
Die Erklärung, dass an einem so tiefgreifenden Ereignis, wie z.B. die Corona-Pandemie oder 9/11 niemand eine eindeutige Schuld trägt, kann unzureichend und frustrierend für Menschen sein. Hier geht es um die jeweilige Verantwortung des Individuums und um die Tatsache, dass sich die Situation nur bedingt verändern oder beeinflussen lassen kann. Trägt eine bestimmte Person oder Gruppe jedoch Schuld an der Misere, ist der Handlungsaufruf klar: Die Schuldigen müssen gefunden und bestraft werden.
Wer glaubt überhaupt an Verschwörungserzählungen?
Es gibt sehr viele Verschwörungserzählungen und sie sind gesellschaftlich weit verbreitet. Menschen glauben aus unterschiedlichen Gründen an Verschwörungserzählungen.
Besonders seit dem Beginn der Pandemie wurde viel darüber spekuliert, wer besonders anfällig für Verschwörungserzählungen ist. Zurzeit lässt sich das noch nicht abschließend beantworten - die Forschung dazu ist noch sehr jung. Aber die Forschung weiß, dass viele Menschen an Verschwörungserzählungen glauben:
Eine Umfrage der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit 1→ vom Juli 2020 besagt, dass z.B. 16 % der Einwohner*innen in Deutschland glauben, dass Bill Gates Menschen durch die Impfung Mikrochips einpflanzen wolle. Die Mitte Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung gab 2020 an, dass 46% der Befragten der Meinung seien, es gäbe geheime Organisationen, die Einfluss auf politische Entscheidungen hätten. Ein Viertel gaben an, dass Politik und Medien heimlich miteinander verbunden seien. Die Studie führte auch an, dass jede*r Zweite*r der Befragten sich mehr auf subjektive Gefühle verlasse, als Expert*innen zu vertrauen. 2→
Auch gibt es einzelne Faktoren, die als Erklärungen dafür angeführt werden können, weshalb bestimmte Menschen an Verschwörungserzählungen glauben.
Weniger von Bedeutung ist es, dass es am Bildungsniveau oder am Alter liegen könnte. Jedoch können Bildungsunterschiede und die Frage danach, wie sehr diese Einfluss darauf haben, ob sich Menschen gesellschaftlich abgehängt fühlen, ein Grund sein. Zentraler ist also, wie wenig sich Menschen innerhalb einer Gesellschaft verankert fühlen und dadurch eine Machtlosigkeit oder einen gefühlten Kontrollverlust wahrnehmen. Der Kontrollverlust und Gefühle der Unzulänglichkeit werden dann auf den/die Verschwörer*in projiziert. In diesem Zusammenhang wird auch von dem Begriff der Verschwörungsmentalität gesprochen. Besonders diese Tatsache kann bei einem Gespräch mit einem*r Schüler*in hilfreiches Hintergrundwissen sein.
Funktion einer Verschwörungserzählung
Kontrolle über etwas zu haben, ist ein elementares Bedürfnis des Menschen. Der gefühlte Kontrollverlust stellt daher für einige Menschen ein großes Problem dar. In dieser Situation versuchen sie, die Kontrolle zurückzuerlangen. Klare Strukturen, wie sie Verschwörungserzählungen bieten, können dabei helfen.
Psychologische Studien deuten darauf hin, dass der Glaube an eine Verschwörung auch soziale Bedürfnisse befriedigen kann. So scheinen Menschen, die ein starkes Bedürfnis nach Einzigartigkeit haben oder einen narzisstischen Charakter besitzen, stärker an Verschwörungen zu glauben. Der Gedanke, über Geheimwissen zu verfügen, kann das Gefühl der Individualität befriedigen und das eigene Selbst aufwerten. Menschen mit diesen Bedürfnissen und Charaktermerkmalen verfügen meist über eine übersteigerte Selbstwahrnehmung, die jedoch sehr fragil ist und beständig Bestätigung von außen benötigt. Mit dieser Erkenntnis lässt sich erklären, weshalb Menschen, die an Verschwörungserzählungen glauben, oftmals sehr laut darin sind, ihr “Wissen” zu verbreiten.
Verschwörungsideologische Narrative
Es gibt sehr viele unterschiedliche verschwörungsideologische Narrative. Einige haben wir hier genauer erläutert. Allgemein kann gesagt werden, dass ihnen allen eine ähnliche Struktur zugrunde liegt und der Glaube an sie einer bestimmte Haltung unterliegt:
Die Welt ist nicht so, wie sie scheint – hinter gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Ereignissen steht eine versteckte Verschwörung, ein geheimer Plan.
Nichts geschieht zufällig – Ereignisse in der Welt geschehen niemals einfach so, sondern sind gelenkt und geplant.
Alles ist miteinander verbunden – zwischen zufälligen, voneinander unabhängigen Ereignissen werden Verbindungen gezogen und so neue Kontexte erzeugt.
Misstrauen gegen die “Mainstream”-Medien
Und was ist problematisch?
Geschehnisse zu hinterfragen und sich kritisch mit der Welt und gesellschaftlichen Ereignissen und Zuständen auseinanderzusetzen, ist wichtig und muss im schulischen Alltag vermittelt werden. Gleichzeitig wird auch von Seiten der Verschwörungsideolog*innen gefordert, dass Fakten, wie sie z.B. durch öffentlich-rechtliche Medienanstalten vermittelt werden, kritisch hinterfragt werden müssen. Tipps, wie Sie innerhalb solcher Diskussionen sinnvolle Argumente anbringen können, finden Sie hier.
Verschwörungserzählungen sind faktenresistent und so auch meistens die Menschen, die an sie glauben. Deshalb ist es auch so schwer, dagegen anzugehen und zu argumentieren. Beweise und Fakten, die die Erzählung widerlegen, werden in der Regel abgetan, übergangen oder direkt als Teil der Verschwörung benannt. Meist wird darauf verwiesen, dass ein Widerspruch von der Gruppe direkt mit erfunden wurde, um die Verschwörung zu verschleiern. Gegenargumente werden als Beweise für die Verschwörung und die hinterhältige Täuschung verstanden. Was entsteht, ist ein Teufelskreis: Offizielle Angaben und wissenschaftliche Erkenntnisse werden als unwahr abgetan, weil sie von offiziellen Stellen und den öffentlich-rechtlichen Medienanstalten verbreitet werden. Das heißt, kein Argument, das von dieser Stelle angebracht wird, löst eine Irritation innerhalb des Verschwörungsglauben aus. Stattdessen ist zu beobachten, dass offizielle Informationen nur dann herangezogen werden, wenn sie das eigene Weltbild bestätigen. “Kritik” und “Fakten” benötigen demnach keine evidente Beweisführung, sondern erlangen ihre Legitimität durch den konsequenten Protest gegen “das System”.
Und wie gefährlich kann der Glaube an Verschwörungsideologien sein?
Natürlich ist mit dem Glauben an eine Verschwörungserzählung nicht automatisch eine Gefahr verbunden und mit Sicherheit begegnen Kindern und Jugendlichen (und auch Erwachsenen) regelmäßig Erzählungen, denen sie erst einmal Beachtung schenken. Das muss nicht immer direkt bedeuten, dass sich eine Person radikalisiert. Nicht alle Verschwörungserzählungen sind gefährlich, aber sie können es schnell werden! Verschwörungsdenken kann zu immer radikaleren Ansichten und Gewalt führen. Problematisch wird diese Denkweise dann, wenn das Selbst oder die eigene Gruppe dadurch aufgewertet wird und im gleichen Zug, “Andere” entmenschlicht und abgewertet werden.
Gerade in der Arbeit mit Kinder und Jugendlichen ist es immens wichtig, ein Bewusstsein dafür zu haben, dass der einmalige Kontakt mit einem Verschwörungsmythos bereits den Standpunkt von Menschen beeinflussen kann.
Wer profitiert davon?
Verschwörungsideologien werden von verschiedenen Gruppen aber auch Einzelpersonen propagiert und verbreitet. Die stärkste und größte Gruppe der Menschen, die Verschwörungsideologien verbreiten, bewegen sich allerdings im rechtsextremen und esoterischen Bereich. Das zeigt, Verschwörungserzählungen können (und das nicht selten) aus politischen Gründen, z.B. von Parteien mit ganz bestimmten Intentionen, verbreitet werden.
Schon jetzt lässt sich sagen, dass Rechtsextreme aufgrund der Pandemie an Follower*innen gewonnen haben. Das ISD (Institute for Strategic Dialogue) gibt an, dass in den ersten zwei Monaten der Lockdown-Maßnahmen 2020 verschiedene Social Media Kanäle national deutlich wuchsen. Z.B. stieg der bekannteste Telegram-Kanal der QAnon Bewegung von 18.000 auf 120.000 Follower*innen, der größte islamfeindliche Kanal von 14.000 auf 40.000 Follower und der größte Kanal von Neonazis von 11.000 auf 27.000 Follower*innen an. 1→
Die sieben Merkmale konspirativen Denkens
Im Handbuch über Verschwörungsmythen 1→ sprechen John Cook und Stephan Lewandowski von den sieben Merkmalen konspirativen Denkens, die sie mit dem englischen Akronym CONSPIR zusammenfassen:
Widersprüchlichkeit
Menschen mit Neigung zu Verschwörungsideologien, glauben nicht selten zeitgleich an Mythen, die sich widersprechen. So können sie z.B. der Meinung sein, dass Prinzessin Diana ermordet wurde und dennoch daran glauben, dass sie ihren eigenen Tod simuliert hat. Grund dafür ist die Haltung, dass die offizielle Darstellung als inkorrekt und vorgetäuscht angesehen wird und dass eine Widersprüchlichkeit in ihrem eigenen Glauben nicht unschlüssig für sie ist.
Generalverdacht
Verschwörungsgläubige besitzen ein extremes Misstrauen gegenüber der “offiziellen” Darstellung. Aus diesem Grund wird keinem Argument vertraut, das dem Verschwörungsmythos widerspricht.
Üble Absichten
Hinter der Verschwörung steckt für Verschwörungsgläubige immer eine üble Absicht.
Etwas stimmt nicht
Auch wenn Verschwörungsgläubige manchmal von bestimmten Mythen ablassen, ändert das nichts an ihrer generellen Haltung, dass “etwas nicht stimmt” und offizielle Sichtweisen und Haltungen eine List sind.
Opferrolle
Verschwörungsgläubige verstehen und inszenieren sich selbst als Opfer von Verunglimpfung und zeitgleich als tapfere Kämpfer*innen gegen alles Feindliche. Sie sehen sich zugleich als Opfer und Held*in an.
Immun gegen Beweise
In einem Verschwörungsmythos ist bereits der Versuch diesem Mythos zu widersprechen angelegt. Das bedeutet, Beweise, die den Mythos widerlegen, werden von Verschwörungsgläubigen als Belege für die Echtheit des Mythos uminterpretiert. Je mehr Gründe und Fakten es gegen die Verschwörung gibt, desto stärker der Drang, den Mythos zu verbreiten.
Zufälligkeiten uminterpretieren
Verschwörungsgläubige glauben nicht an den Zufall. Sie sind der Meinung, dass voneinander unabhängige Ereignisse niemals zufällig z.B. am gleichen Tag geschehen sind, sondern immer in Verbindung miteinander stehen. Zufälligkeiten werden von Verschwörungsgläubigen also zu geplanten Ereignissen uminterpretiert.